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Deutsche Turnerinnen haben bei der WM das Olympia-Ticket gesichert Nach 29 Stunden ist alles gut Langes Warten nach unsicherem Wettkampf - Hindermann und Brinker im Finale |
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Gestern um 19.40 Uhr war es klar: Die deutschen Turnerin- nen haben als Zehnte der WM in Stuttgart zwar das Fi- nale verpasst, aber das Olym- pia-Ticket gelöst. Nach ei- nem durchwachsenen Wett- kampf und 29 Stunden ban- gen Wartens lagen sie sich überglücklich in den Armen. |
Wettkampf um. Katja Abel hatte als erste Starterin gezittert, Oksana Chussowitina und Stufenbarren- Spezialistin Jenny Brunner waren gefallen. Das Gesicht von Cheftrai- nerin Ulla Koch war kreidebleich, während Jenny Brunner hemmungs- los in ihren Armen schluchzte. Und Marie Hindermann? Die trat ans Ge- rät - und lächelte. "Wer Marie beim Einturnen gesehen hat, der dachte oh Gott. Ich habe sie gesehen. Es war furchtbar", meinte Ulla Koch in Erinnerung an diese Sekunden. "Ich hab' gewusst, dass ich es kann", entgegnete die Tübingerin achselzuckend. Sie legte mit 15,75 Punkten den Grundstein für ihren Einzug ins Mehrkampffinale der besten 24 Turnerinnen, ebenso wie nach ihr Anja Brinker. Die ließ sich nicht einmal dadurch aus der Ruhe bringen, dass die Trainer vergessen hatten, den Barren auf die richtige Weite zu stellen. Sie kurbelte kurz, konzentrierte sich wieder und machte ihre Übung (15,500). Aber das deutsche Team war da- mit noch nicht wieder im Rennen, denn am Balken stürzten Hinder- mann, Chussowitina und Joeline Möbius. Erst am Boden lief alles nach Plan, Ulla Koch verzichtete |
deshalb auf den Einsatz der ange- schlagenen Oksana Chussowitina, die sich dafür mit zwei erstklassigen Sätzen ins Sprungfinale katapul- tierte. 231,125 Punkte standen am Ende für die Deutschen zu Buche, Platz fünf nach dem ersten Tag. Die Chancen den zwölften Platz und die damit verbundene Olym- pia-Qualifikation zu schaffen, sie standen bestenfalls bei 50:50. "An diesem Abend hab' ich zum ersten Mal seit langem gezweifelt", ge- stand Ulla Koch, während Katja Abel überlegte, ob der Heimvorteil nun einer war oder nicht: "Als wir in die Halle gekommen sind, hab' ich gedacht: Pack deine Sachen und geh' in Rente." Gestern hieß es also Warten, was die anderen Riegen machen. "Das wird die schlimmste Zeit meines Le- bens", stöhnte Katja Abel. Aber schon zur Mittagszeit gab es Hoff- nung. "Ja", rief Anja Brinker spon- tan, als sich die Nachricht herum- sprach, dass Spanien und Austra- lien verturnt hatten. Während die US-Mädchen einen überragenden Wettkampf abliefer- ten, strauchelten Nordkorea, Japan, die Niederlande. Die lange Durst- |
strecke schien zu Ende zu gehen. 1992 turnten deutsche Frauen letzt- mals um Olympische Ehren - die Chemnitzerin Joeline Möbius wurde wenige Tage nach den Spie- len von Barcelona geboren. Wer nicht zu den Spielen fährt, bekommt weniger Geld, kaum Spon- soren. Darüber machen sich Funk- tionäre Gedanken, die Mädchen nicht. "Ich turne, weil es mir Spaß macht", sagte Joeline Möbius und zuckt mit den Schultern, als ob es keine anderen Anreize gäbe. Ihre Kolleginnen nicken zustimmend. "Obwohl, in meine Klasse gehen ja auch die VfB-Fußballer. Wenn einer mit 16 Jahren 6000 Euro verdient, denkt man sich schon seinen Teil", wirft Marie Hindermann ein. Aber eigentlich fühle sie sich wohl in ih- rem Sport. Richtig wohl sogar. Noch mehr seit gestern. Denn die Tübingerin steht auch im Barren-Fi- nale und ist drauf und dran zumin- dest die deutsche Turn-Welt zu er- obern. Erfrischend offen, ehrlich, mit guten Sprüchen zur rechten Zeit. So wie einst Fabian Hambü- chen in Athen. Nur dass Marie-So- phie Hindermann schon jetzt fünf Zentimeter größer ist. Ute Gallbronner |